Wenn es um Russland geht, hat man beim ZDF ganz viel Verständnis für diejenigen, die in unseren Medien, wenn es Deutsche sind, Impfmuffel, Impfschwänzer, Impfskeptiker oder gar Impfverweigerer genannt und mit abseitigen „Verschwörungstheorien“ in Verbindung gebracht werden.
Das Auslandsjournal berichtete am 14. Juli mit viel Mitgefühl darüber, wie diese Menschen von einem autoritären Staatschef direkt oder indirekt genötigt werden, sich impfen zu lassen. Die halbe Bevölkerung wolle sich nicht impfen lassen, weil sie dem ungewöhnlich schnell entwickelten Impfstoff oder der Regierung misstraue. Ganz anders die Tonlage, als etwa in den Tagesthemen am Tag zuvor ein Mitglied des sogenannten Ethikrats die deutschen „Impfverweigerer“ als „renitente Leute, die andere gefährden“ bezeichnete und eine Impfpflicht für alle Lehrer und Erzieher forderte.
Zurück nach Russland: Dort müssen sich nun auf Geheiß des autoritären Putin viele dieser aufrechten und zu Recht misstrauischen Bürger impfen lassen, um weiter in ihren Berufen arbeiten zu dürfen. Andere werden indirekt genötigt, indem nur noch Geimpfte, Genesene oder aktuell Getestete öffentliche Einrichtungen wie Bars und Restaurants betreten dürfen. Schlimm, schlimm, dieser Putin, dürfen die Zuschauer denken.
Dumm nur, dass einen Tag vor Ausstrahlung der Sendung alle Medien voll waren von Berichten, dass Frankreichs Staatspräsident Macron eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen ankündigte, und auch, dass bald nur noch Geimpfte, Genesene oder aktuell Getestete öffentliche Einrichtungen wie Bars und Restaurants betreten dürfen, und dass die Nichtgeimpften die verlangten Tests künftig selbst bezahlen müssen. Dumm auch, dass unsere Corona-Spitzenpolitiker das Schikanieren von Nichtgeimpften a là Macron positiv bewerteten (Söder), oder gleich nachahmten (Kretschmann).
Der Beitrag war im Kasten und terminiert, da blieb nicht mehr als ein kurzer Satz der Moderatorin bei der Anmoderation, der deutlich machte, dass man die neue Entwicklung in Frankreich mitbekommen hat. Aber alle halbwegs wachen Zuschauerinnen und Zuschauer, denen die Nachrichten aus Frankreich ganz frisch präsent waren, mussten sich schon fragen, ob sie das, was in Russland schlimm und autoritär ist (Impfpflicht und Schikane Ungeimpfter) nun gut finden sollten, wenn es bei uns verordnet wird, und ob sie das, was in Russland vernünftig scheint (Skepsis bezüglich eines sehr schnell entwickelten Impfstoffs und gegen die Regierung), bei uns für asoziale, antiwissenschaftliche Impfverweigerung halten sollten.
Tote ohne jede Relation
Auch den Gastwirten, die unter diesen repressiven Maßnahmen Putins zu leiden haben, gibt die Sendung mitfühlend Gelegenheit zu klagen. Putin wird vor allem dafür angeklagt, dass er zu lange zu wenig getan habe. Das sei der Grund, für die neuen autoritären Maßnahmen. „Es sind zu viele – zu viele Tote“, sagt der Sprecher über Bilder von Grabreihen eines Friedhofes und Sargstapel in einem Krematorium
Verließe man sich nicht auf die Macht der manipulativen Bilder und schaute stattdessen auf die Zahlen, würde man feststellen, dass Russland mit insgesamt bisher 1006 Toten an oder mit Corona pro Million Einwohner auf Platz 53 in der Welt rangiert, fünf Plätze hinter Deutschland mit 1093 Toten je Million Einwohnern und weit hinter Ländern wie den USA, Frankreich oder Italien.
Zwar gibt es derzeit deutlich mehr Tote an und mit Covid pro Woche in Russland als in Deutschland. Aber das heißt um so mehr, dass es früher deutlich weniger gegeben haben muss. So ein Desaster wie der Beitrag den Eindruck erweckt, kann die bisherige Politik der russischen Regierung also nicht gewesen sein, jedenfalls relativ zur Politik in Deutschland und erst recht den USA oder manchen westeuropäischen Ländern.
Alles in allem ist dem ZDF unbeabsichtigt ein wunderbares Stück Aufklärung gelungen, jedenfalls für diejenigen, die sich einen kleinen Funken Skepsis bewahrt haben und beim Fernsehen den Kopf nicht abschalten. Danke dafür, liebes Auslandsjournal.